Greta hat recht

Vortrag waehrend des Protests der Friday for Future in Udine, am “black
friday” 2019.

1) Greta Thunberg und die Fridays for Future haben recht: waehrend der letzten 20 Jahre haben die Politiker nichts getan, um das Anwachsen des CO2 Gehalts und die Erderwaermung zu stoppen.

2) Vor kurzem hat die Italienische Regierung (und aehnliches gilt fuer Deutschland) ein Gesetz zum Klima – “decreto clima” – erlassen. Eigentlich muesste dieses Gesetz davon handeln, wie man fossile Energietraeger – Kohle, Erdgas, Erdoel – durch erneuerbare Energien ersetzt. Denn das waere ja die einzige Moeglichkeit, das Klima zu retten.
Davon handelt das “decreto clima” aber gar nicht. Stattdessen geht es um Kosmetik, zum Beispiel soll in den Staedten mehr Gruen angepflanzt werden. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde es ja auch schoen und richtig, wenn es mehr Pflanzen in den Staedten gibt. Nur leider loest das nicht das CO2 Problem.
Wenn die Regierung unsinnige Massnahmen trifft, so erhebt normalerweise die Opposition ihre Stimme, und macht bessere Vorschlaege. Hier ist das aber nicht so, die Opposition schweigt.

3) Vermutlich sind die Politiker nicht boese, sondern wissen schlichtweg nicht, was sie tun sollen. Und aehnliches gilt wohl auch fuer die Zeitungen und die Buerger selbst: keiner kritisiert das voellig unsinnige “decreto clima”, keiner traut sich auszusprechen, was doch offensichtlich ist, dass naemlich der Kaiser nackt ist.

4) Ausgerechnet beim wichtigsten Problem unserer Zeit, der Erderwaermung, funktionieren die demokratischen Mechanismen nicht mehr.

5) Wenn in einer Demokratie die demokratischen Mechanismen versagen, so ist Ratlosigkeit die logische Folge. Die Bereitschaft etwas zu tun ist ja da, wie das Beispiel “decreto clima” zeigt – aber keiner weiss, was man denn sinnvolles tun koennte. Deswegen geht der eigentlich richtige und wichtige Protest der Fridays for Future ins Leere.

6) Die Fridays for Future bitten die Politiker, doch auf die Wissenschaft zu hoeren. Theoretisch haben die Fridays for Future auch hiermit recht. Nur leider glauben die Politiker, die Wissenschaft finde in den grossen, teuren Technologiezentren statt. Am Beispiel des Mose Projekts in Venedig sieht man, dass das leider nicht stimmt: nach 35 Jahren Bauzeit und enormen Kostenueberschreitungen funktioniert Mose immer noch nicht, und ist nicht in der Lage Venedig vor dem Hochwasser zu schuetzen, und alle wissen, dass dies ein unglaulicher Skandal ist, die Politiker wissen es auch.
Wenn Sie nun die Webseite von Mose anschauen, werden Sie staunen: da ist eine perfekte Welt zu sehen, wunderscheone Photos, sehr positive Texte, die davon sprechen, wie wundervoll alles ist, es gibt keine Probleme, auch keine Verantwortlichkeiten, und keine Transparenz, keine Information, weil doch alles in Ordnung ist (Situation Nov. 2019). Ganz offensichtlich ist Mose nicht Teil der Res Publica, sonder eher so etwas wie eine kleine Bananenrepublik.
Mose ist nur ein aktuelles Beispiel. Man kann eine Liste all der anderen Technologiezentren anfertigen. So wie Mose geben die pro Jahr um die 300 Millionen Euro aus, haben zum groessten Problem unserer Zeit aber nichts nuetlziches zu sagen. Und wie denn auch – es ist ja alles in Ordnung, so wie es ist, die Welt ist perfekt so, und besteht aus wunderschoenen Photos und gutem Internstyling. Die Technologiezentren sind zu Influencern geworden.

7) Aus all dem folgt eine moegliche Loesung logisch: Wir brauchen eine Allianz zwischen Fridays for Future und der wirklichen Wissenschaft. Dadurch wuerden einerseits die Fridays for Future die noetigen Kompetenzen erwerben. Andererseits wuerde die Wissenschaft den verlorengegangenen Kontakt zum Rest der Gesellschaft wiederfinden, die Wissenschaft muss aufhoeren mit der Anonymitaet und der geschickt organisierten Verantwortungslosigkeit. Sie muss Verantwortung uebernehmen, Verantwortung ist doch etwas positives, sie ist einer der Unterschiede zwischen Mensch und Tier, und zwischen Mensch und Maschine.
Was mich betrifft, so biete ich den jungen Leuten von Fridays for Future meine Zusammenarbeit an. Ich stehe zu Ihrer Verfuegung um Fragen zu beantworten, um zusammen Tests und Experimente durchzufuehren, um Projekte zu schaffen, Dokumentation, Praesentationen, was auch immer noetig ist. Was auch immer noetig ist, um die Demokratie wieder zum Funktionieren zu bringen, um die Physik zu einem Teil der lebendigen Res Publica zu machen.
Zum Beispiel wird es im Sommer 2020 in Triest das europaeische Fest der Wissenschaft geben, ESOF2020. Ich habe dafuer ein Projekt der Solar- und Bioenergie vorgeschlagen, und hoffe, dass es verwirklicht werden wird, als Teil von “Science in the City”. Das weare doch eine schoene Gelegenheit, die ersten Resultate unserer Zusammenarbeit vorzufuehren.
Ich muesste natuerlich noch meine Kollegen fragen, aber ich denke, die werden sicher einverstanden sein.

8) Ich weiss schon, was die Kritiker sagen werden: sie werden behaupten, nur die Superexeperten koennten die Wissenschaft verstehen, die jungen Leute koennen das doch gar nicht. Aber das stimmt nicht. Die grundlegendste Wissenschaft ist die Physik, die Physik kann man verstehen, was man nicht verstehen kann ist keine Physik.
Mit der Musik ist es genauso: wenn jemand eine Oper schreiben will, so sollte er besser Musik studieren. Aber wer einfach nur Musik hoeren und verstehen will, kann das auch tun ohne studiert zu haben, Ernsthaftigkeit und Interesse geneugen vollauf.
Und das ist auch fuer die Physik so: wenn Sie neue Physik schaffen wollen, sie wie Einstein, so ist es schon besser, Physik zu studieren. Aber wenn Sie “nur” die existierende Physik verstehen wollen, geht es auch ohne Studium.

9) Tatsaechlich haben wir an der Universitaet Udine und insbesondere mit dem akademischen spin off “Isomorph srl” in den letzten 10 Jahren neue, einfache und wirtschaftlich sinnvolle Technologien entwickelt, mit denen man fossile Energietraeger ersetzen kann. Das beweist, dass dies der richtige Weg ist. Allerding werden diese Technologien nicht angewandt, nicht etwa weil die Leute keine Physik verstehen, sondern weil es ja angeblich gar kein Problem gibt, ist doch alles in Ordnung, so wie es ist, angeblich.

19) Mein Angebot zur Zusammenarbeit gilt nicht nur fuer junge Leute mit einer Begabung fuer Physik, die an technischen Projekten mitarbeiten koennten. Sondern es braucht ein Zusammenwirken aller Teile unserer Kultur, auch der Teile, die scheinbar weit von der Physik entfernt sind, wiezum Beispiel der Kunst. Unsere Zukunft darf nicht den Experten ueberlassen werden, das haben die letzten 20 Jahre ja deutlich gezeigt, und Mose hat es noch einmal bestaetigt. Sondern Zukunft muss entstehen aus der kulturellen Kraft einer quicklebendigen Res Publica.
Einst war Venedig eine Supermacht der Technologie und der Kunst. Heute gibt sie sich damit zufrieden, die Gondel zur rudern und Pizza fuer die Touristen zu backen. Haette Venedig hingegen immer noch die kulturelle Kraft von einst, so ware das Problem des Hochwassers sicher schon lange geloest, davon bin ich uberzeugt. An diesem Beispiel sieht man anschaulich, dass die Erderwaermung letztlich ein kulturelles Problem ist.

11) Hier in Udine gibt es eine besonders interessante Situation: die Universitaet wurde durch eure Grosseltern geschaffen, indem sie die Hilfszahlungen fuer das grosse Erdbeben fuer die Schaffung der Universitaet ausgegeben haben. Noch mehr als in anderen Staedten ist diese Universitaet die eure, weil ihr ja die Erben eurer Grosseltern seid. Ich bin sicher, dass die Universitaet euch helfen wird, ihr muesst nur an das Tor eurer Universitaet klopfen.

12) Mose ist nur ein kleines Beispiel dafuer, was in viel groesserem Ausmass geschehen wird, wenn es uns nicht gelingt, unsere verlorene Kultur wiederzufinden, zusammen mit ihrer Technologie. Mose ist ein Beispiel dafuer, was geschieht, wenn es uns nicht gelingt, die vielen kleinen Bananenrepubliken durch eine lebende Res Publica zu ersetzen.
Im Moment sind die Fridays for Future die einizgen, die diese Aenderung erzwingen koennen. Ihr seid die Zukunft.
Und ihr seid auch die Vergangenheit, weil ja nur ihr ein enormes Erbe in die Zukunft bringen koennt, das ohne euch verloren sein wird und rueckgaengig gemacht, so als haette es nie existiert. Zukunft und Vergangenheit haengen von euch ab.
Lasst euch nicht aufhalten, ich bin sicher, dass immer mehr Menschen verstehen und euch zu Hilfe eilen werden. Denn nur ihr koennte die Welt retten.

Hans Grassmann, piazza XX Sett, Udine, 29. nov. 2019